Die Sonne brennt vom Himmel und ein gelber
Leguan huscht über rotes Gestein, ist er wohl interessiert an meinem saftigen
Apfel? Ich sitze auf einem Stein, erhole mich von meiner anstrengenden Wanderung
vom Hochplateau hinunter zum San Juan River und schaue träge umher in der
Mittagshitze. Genauer gesagt sitze ich unterhalb
des Mexican Hat, einem Felsen aus Sandstein, der einer kleinen Stadt im
Navajo-Reservat auf dem Colorado Plateau seinen Namen gab. Gleich könnte ich vielleicht
in der Trading Post in Mexican Hat eine eiskalte Cola trinken. Die Trading
Post, ein Motel mit angeschlossenem, kultigem Restaurant, ist ein gelungenes,
leider seltenes Beispiel einer fruchtbaren, selbstbestimmten sowie gleichzeitig
weltoffenen Interaktion zwischen Navajo-Indianern und Touristen.
Das Navajo Reservat ist in etwas so groß ist
wie Irland. Für alle, die es noch nicht wissen: Reservate sind abgegrenzte Landstriche,
die den Ureinwohnern der USA zugewiesen worden sind. Dies geschah überwiegend im 19.
Jahrhundert als Folge der systematischen Landnahme und planmäßigen Urbarmachung
durch europäische Siedler, die zum Teil inzwischen weiße Amerikaner geworden
waren. In etwas weniger schönen Worten: Die Enteignung der Ureinwohner und ihre Kasernierung in Reservate. In einigen Fällen, so auch im Fall der Navajo, liegen solche Reservate
auf dem ehemaligen Stammesgebiet, von dem sie jedoch nur noch einen kleinen
Teil ausmachen. Diese Zwangsumsiedlung ging einher mit der systematischen
Einschränkung der ökonomischen und kulturellen Rechte sowie der Freiheitsrechte
der indigenen Völker. 8.000 Navajo wurde 1868 nach vier Jahren
Internierungslager unter der Verwaltung der U.S. Army die Rückkehr in ihr Land
gestattet - allerdings in deutlich verkleinerte Reservate. Im Gegenzug mussten sie einer nahezu vollkommenen Assimilierung
zustimmen.
Strukturelle Ungerechtigkeiten werden in
einer Krise wie der Corona-Pandemie sichtbar und ihre Auswirkungen treffen die
Schwächsten einer Gesellschaft am härtesten. Rund 7.000 von 350.000 Menschen
der Navajo Nation sind Ende Juni 2020 nach offiziellen Angaben mit dem Coronavirus
infiziert. Dreiviertel von ihnen haben zuhause keinen Zugang zum Internet und/oder
zu Strom – damit ist Homeschooling oder Homeoffice kaum praktikabel. Ohne
Internet und/oder Strom ist auch der Zugang zu Informationen über die
Corona-Pandemie nahezu versperrt. Ohne Wasser wiederum wird die Einhaltung der nötigen
Hygiene-Regeln unmöglich. Die Infrastruktur ist dürftig, viele Straßen sind
nicht geteert. Das heißt, dass an Covid-19-Erkranke oft einen langen und
beschwerlichen Weghaben, um medizinische Hilfe zu bekommen. Bei 100 Krankenhausbetten
im gesamten Reservat ist die medizinische Versorgung aller schwer an Covid-19
Erkrankten nicht gewährleistet. Vielfach wohnen mehrere Generationen auf engem
Raum zusammen und Social Distancing ist schwierig, auch weil ein starker
Gemeinschaftssinn Teil der Kultur ist. Die Zahlungen der U.S.-Regierung zur Unterstützung der indigenen Stämme erreichte die Navajo Nation und andere erst sechs Wochen nach Ausbruch der Pandemie.
Dennoch ist der Präsident der Navajo Nation Jonathan Nez optimistisch; rigide Ausgangssperren und so viel Aufklärung wie möglich sollen helfen, um die Infektionskurve abzuflachen. Auch sei der Zusammenhalt groß innerhalb der Navajo Nation. Der Wunsch vieler hier für die Zukunft: Investitionen in Projekte, die Wirtschaft, Nachhaltigkeit, Gesundheitssystem, Infrastruktur und Bildung fördern, die einher gehen mit der Navajo Kultur.
Ich hoffe sehr, dass ich bald wieder in der Trading Post sitze mit Blick auf den San Juan River. Ich hoffe, dass die gelungenen Beispiele wirtschaftlich erfolgreicher Autonomie wie die Trading Post oder wie das fantastische Hotel „The View“ im Monument Valley überleben werden. Und am meisten hoffe ich, dass die Navajo Nation endlich die strukturelle Hilfe zur Selbsthilfe bekommt, die dem Volk den wirtschaftlichen und sozialen Anschluss an den Rest der Gesellschaft ermöglicht, ohne ihre Identität weiter preisgeben zu müssen und ihre Kultur im Wandel der Zeit leben zu können.
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