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Wandern im Navajo-Gebiet: Wo Ureinwohner und Tourismus aufeinander treffen

  • von Dagmar Grutzeck
  • 16 Juni, 2020
Blick auf den San Juan River im Bears Ears National Monument auf dem Colorado Plateau
Der San Juan River im Bears Ears National Monument auf dem Colorado Plateau
Das Colorado Plateau im Westen der USA ist zum Teil Gebiet des Navajo-Reservats. Die Navajo, Navaho oder auch Diné  machen die zweitgrößte Gruppe der Ureinwohner der USA aus. Viele Begegnungen mit ihnen ergeben sich für mich nicht – wirklich schade! Ein Ort, wo Touristen auf Navajo-Indianer treffen, ist Mexican Hat. Ich liebe die Gegend, weil sie Charakter hat und mich von vergangenen Zeiten träumen lässt. So auch bei meinem letzten Besuch.

Träumen von Mexican Hat?

Die Sonne brennt vom Himmel und ein gelber Leguan huscht über rotes Gestein, ist er wohl interessiert an meinem saftigen Apfel? Ich sitze auf einem Stein, erhole mich von meiner anstrengenden Wanderung vom Hochplateau hinunter zum San Juan River und schaue träge umher in der Mittagshitze. Genauer gesagt sitze ich unterhalb des Mexican Hat, einem Felsen aus Sandstein, der einer kleinen Stadt im Navajo-Reservat auf dem Colorado Plateau seinen Namen gab. Gleich könnte ich vielleicht in der Trading Post in Mexican Hat eine eiskalte Cola trinken. Die Trading Post, ein Motel mit angeschlossenem, kultigem Restaurant, ist ein gelungenes, leider seltenes Beispiel einer fruchtbaren, selbstbestimmten sowie gleichzeitig weltoffenen Interaktion zwischen Navajo-Indianern und Touristen.

Abbildung der Autorin Dagmar Grutzeck bei einer Lunch-Pause im Monument Valley im Reservat der Navajo Nation
Lunch im Monument Valley im Reservat der Navajo Nation
Apropos Traum, das gerade passiert gar nicht jetzt, das war alles 2019. Seitdem war ich aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr dort. Was leider wahr ist: Die Navajo Nation stellt die Bevölkerungsgruppe in den USA dar, die mit am schlimmsten von Covid-19 betroffen ist. Warum ich davon erzähle? Weil es eine weitere wahre Geschichte von Unterdrückung und Leid ist, mit fatalen Folgen für die Gegenwart, diktiert von weißen Einwanderern aus Europa. Weil es ein weiteres Beispiel dafür ist, dass kollektives Leid innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht aufhört, bis ein fundamentales Umdenken in allen Teilen der Gesellschaft zu tiefgreifenden Veränderungen führt; zu den strukturellen Maßnahmen, die allen Ethnien den gleichen Zugang zu Schulbildung, zu entlohnter Beschäftigung, zu Infrastruktur und zu medizinischer Versorgung ermöglichen.
Foto des Mexican Hat im Bears Ears National Monument
Der Mexican Hat im Bears Ears National Monument

Die leidvolle Geschichte der Navajo Nation

Das Navajo Reservat ist in etwas so groß ist wie Irland. Für alle, die es noch nicht wissen: Reservate sind abgegrenzte Landstriche, die den Ureinwohnern der USA zugewiesen worden sind. Dies geschah überwiegend im 19. Jahrhundert als Folge der systematischen Landnahme und planmäßigen Urbarmachung durch europäische Siedler, die zum Teil inzwischen weiße Amerikaner geworden waren. In etwas weniger schönen Worten: Die Enteignung der Ureinwohner und ihre Kasernierung in Reservate. In einigen Fällen, so auch im Fall der Navajo, liegen solche Reservate auf dem ehemaligen Stammesgebiet, von dem sie jedoch nur noch einen kleinen Teil ausmachen. Diese Zwangsumsiedlung ging einher mit der systematischen Einschränkung der ökonomischen und kulturellen Rechte sowie der Freiheitsrechte der indigenen Völker. 8.000 Navajo wurde 1868 nach vier Jahren Internierungslager unter der Verwaltung der U.S. Army die Rückkehr in ihr Land gestattet - allerdings in deutlich verkleinerte Reservate. Im Gegenzug mussten sie einer nahezu vollkommenen Assimilierung zustimmen.

Karte der Navajo Reservation auf dem Colorado Plateau
Die Navajo leben heute immer noch hauptsächlich in ihrem Reservat auf dem Colorado Plateau

Die Navajo-Indianer heute

Generell ist die materielle Armut nach wie vor sehr hoch im Navajo Reservat. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 42 Prozent und geht häufig einher mit Alkohol- und Drogenmissbrauch. Nach langer, brutaler Verfolgung erhielt der Stamm zwar nach und nach Landrechte, Autonomie, begehrte Lizenzen für Kasinos und das Recht auf eine eigene Polizei und Justiz. Doch wenn eine Pipeline durch heiliges Stammesgebiet geplant ist oder Ölvorkommen entdeckt werden, steht das Bundesrecht häufig über dem der Navajo Nation, zumal große Gebiete des Reservats als Einnahmequelle an weiße Amerikaner verpachtet sind. Häufig haben die Bewohner kein fließendes Wasser – was absurd scheint in Anbetracht der Tatsache, dass der Colorado River und der San Juan River Teile der Nordwestgrenze des Reservats bilden. Wie kann es sein, dass Wasser und Kohle, die aus dem Reservat stammen, große Städte wie Los Angeles und Las Vegas versorgen, aber immer noch rund 15.000 Navajo-Familien ohne Elektrizität leben? Heute machen gerade einmal 56 Prozent der Jugendlichen ihren Hauptschulabschluss, die erwartete Arbeits- und Perspektivlosigkeit mag ein Grund dafür sein – oder die nächste High School ist einfach zu weit weg.
Aufnahme des Colorado River bei Bullfrog
Der Colorado River hier bei Bullfrog

Das Leid der Navajo Nation während der Corona-Pandemie

Strukturelle Ungerechtigkeiten werden in einer Krise wie der Corona-Pandemie sichtbar und ihre Auswirkungen treffen die Schwächsten einer Gesellschaft am härtesten. Rund 7.000 von 350.000 Menschen der Navajo Nation sind Ende Juni 2020 nach offiziellen Angaben mit dem Coronavirus infiziert. Dreiviertel von ihnen haben zuhause keinen Zugang zum Internet und/oder zu Strom – damit ist Homeschooling oder Homeoffice kaum praktikabel. Ohne Internet und/oder Strom ist auch der Zugang zu Informationen über die Corona-Pandemie nahezu versperrt. Ohne Wasser wiederum wird die Einhaltung der nötigen Hygiene-Regeln unmöglich. Die Infrastruktur ist dürftig, viele Straßen sind nicht geteert. Das heißt, dass an Covid-19-Erkranke oft einen langen und beschwerlichen Weghaben, um medizinische Hilfe zu bekommen. Bei 100 Krankenhausbetten im gesamten Reservat ist die medizinische Versorgung aller schwer an Covid-19 Erkrankten nicht gewährleistet. Vielfach wohnen mehrere Generationen auf engem Raum zusammen und Social Distancing ist schwierig, auch weil ein starker Gemeinschaftssinn Teil der Kultur ist. Die Zahlungen der U.S.-Regierung zur Unterstützung der indigenen Stämme erreichte die Navajo Nation und andere erst sechs Wochen nach Ausbruch der Pandemie.

Dennoch ist der Präsident der Navajo Nation Jonathan Nez optimistisch; rigide Ausgangssperren und so viel Aufklärung wie möglich sollen helfen, um die Infektionskurve abzuflachen. Auch sei der Zusammenhalt groß innerhalb der Navajo Nation. Der Wunsch vieler hier für die Zukunft: Investitionen in Projekte, die Wirtschaft, Nachhaltigkeit, Gesundheitssystem, Infrastruktur und Bildung fördern, die einher gehen mit der Navajo Kultur.

Blick auf die Straße, die Mexican Hat und das Monument Valley verbindet
Zwischen Mexican Hat und Monument Valley im Bears Ears National Monument

Meine liebsten Orte im Navajo-Gebiet

Ich hoffe sehr, dass ich bald wieder in der Trading Post sitze mit Blick auf den San Juan River. Ich hoffe, dass die gelungenen Beispiele wirtschaftlich erfolgreicher Autonomie wie die Trading Post oder wie das fantastische Hotel „The View“ im Monument Valley überleben werden. Und am meisten hoffe ich, dass die Navajo Nation endlich die strukturelle Hilfe zur Selbsthilfe bekommt, die dem Volk den wirtschaftlichen und sozialen Anschluss an den Rest der Gesellschaft ermöglicht, ohne ihre Identität weiter preisgeben zu müssen und ihre Kultur im Wandel der Zeit leben zu können.

Grafik eines Kastens mit Zahlen und Daten zum Leben der Navajo Nation in der Corona-Pandemie 2020
Zahlen und Fakten zum Leben der Navajo Nation während der Corona-Pandemie 2020
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