Wer durch den Yellowstone Nationalpark fährt, muss häufiger anhalten, weil sich vor dem eigenen Fahrzeug eine lange Autoschlange gebildet hat. Wenn es keine Bauarbeiten sind oder eine Bisonherde, die gemütlich auf dem Asphalt entlang trottet, ist es vermutlich "Wildlife" neben der Straße, das die Besucher anhalten lässt und den Verkehr zum Erliegen bringt: So passiert es auch mir, als ich eines späten Nachmittags durch den Park nach Roosevelt Country im Nordteil des Parks fahre. Ist es eine Gruppe Gabelböcke, die massenweise Fahrzeuge zum stehenbleiben veranlasste? Oder gar ein Bär? Nein, es ist tatsächlich ein Wolf, der gerade dabei ist, ein Stück Hirsch zu verspeisen. Er lässt sich überhaupt nicht stören von den vielen Menschen, man könnte meinen, dass jemand aus dem örtlichen Tourismusbüro sein Erscheinen organisiert hat. Ein wunderschönes, graues Exemplar seiner Art, das da im Unterholz sitzt und ungerührt sein frühes Abendbrot zu sich nimmt.
Wenn man über den Yellowstone National Park schreibt, darf der Wolf nicht fehlen, ist er doch eines der interessantesten Tiere dort. Seine Rolle in Märchen und Sagen spricht Bände – er wird dort oft als verschlagen und gefährlich dargestellt. Wölfe galten lange als gnadenlose Jäger und Vernichter von anderem Leben. Die Ausbreitung der Menschen und damit die Verkleinerung des tierischen Lebensraums brachten unliebsame Zusammenstöße mit sich auf Kosten des Nutzviehs der Menschen, das häufig die Beute der Raubtiere wurde. Die Dämonisierung des Wolfs tat ihr Übriges, um sein schlechtes Image zu verfestigen. Wölfe wurden daher mit Beginn der jüngeren Neuzeit in vielen Teilen der Welt ausgerottet. Yellowstone, der allererste Nationalpark der Welt, war da keine Ausnahme. Menschen schufen sich dort das idealisierte Bild eines Naturparadieses. Für Wölfe war darin kein Platz.
Heute ist der Wolf wieder ein von Menschen gern gesehener Bewohner im Yellowstone National Park, gilt er doch als Tourismusmagnet und wichtiges Mitglied eines empfindlichen Ökosystems. Die Wölfe des Yellowstone-Ökosystems waren in den 1930er Jahren komplett ausgerottet. Als direkte Folge geriet das natürliche Gleichgewicht der Tierwelt durcheinander mit drastischen Folgen für die Populationen diverser Tiergattungen. Als eine Art Experiment wurden 1995 wieder 14 kanadische Wölfe angesiedelt, was eine bemerkenswerte Wirkung zeigte. Die Tiere taten, was sie sollten und vermehrten sich. Wapiti-Hirsche, die zuvor viel Vegetation abgeweidet hatten, fingen an, insbesondere Talsenken und Schluchten aus Angst vor den Wölfen zu meiden. In diesen Bereichen regenerierte sich der Baumbestand sehr schnell, wodurch sich die Zahl der Vögel erhöhte. Auch die Biberpopulation wuchs, denn sie hatten jetzt Bäume zum Dämme bauen, die wiederum Lebensräume für Flusstiere wie Otter, Enten, und Fische boten. Die Wölfe erlegten auch Kojoten, wodurch es mehr Kaninchen und Mäuse gab: Bestes Futter für die Raubvögel, Füchse und Dachse, die sich nun auch besser vermehren konnten.
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