Der Wind zerrt an meinem Rucksack und die Sonne brennt vom Himmel. Rechts und links geht erahne ich steile Abgänge – genau hinsehen tue ich lieber nicht. Bin das wirklich ich, die hier mit klopfendem Herzen auf dem Pitamakan Pass in der dünnen Höhenluft steht? Es sieht so aus. Voller Unbehagen blicke ich auf den vor uns liegenden Weg, der sich als schmale Linie am steilen Berghang abzeichnet. Einmal mehr frage mich, ob es wirklich eine so gute Idee war, Wanderbücher zu schreiben, bin ich doch mit einer eher durchschnittlichen Kondition ausgestattet und leide zudem unter Höhenangst. Gleichzeitig sehe ich auf eine so beeindruckende Landschaft wie noch nie zuvor, obwohl ich schon viel gereist bin. Majestätisch breiten sich die Täler unter uns aus, eingefasst von Bergen, die hier im Glacier Nationalpark häufig aussehen wie umgedrehte Trichter. Eingebettet in die grüne Landschaft unterhalb der Baumgrenze machen wir azurblaue Seen aus – so klar definiert, als wären sie gemalt. Hinter einem Felsen zeigt sich ein schneeweißes Murmeltier; es läuft geradewegs auf uns zu und sucht offensichtlich Kontakt. Wir aber müssen weiter, liegen doch noch rund 16 der insgesamt 28 km vor uns.
Nicht jede der Tageswanderungen, die hier im Blog oder in unseren Büchern vorgestellt werden, ist so lang und herausfordernd wie diese, die uns über 28 km, zwei Pässe und 892 Höhenmeter sowie an den Rand unserer physischen Grenzen führte. Dennoch hätte ich mir während der Vorbereitungszeit für dieses erste Projekt nicht träumen lassen, wie es sein würde: wochenlang durch die Rocky Mountains in den USA zu wandern, unzählige Höhenmeter zu überwinden, Elchen, Wölfen und seltenen Luchsen zu begegnen und ein tiefes, beglückendes Gefühl von Einsamkeit im Hinterland abseits der "touristischen Hotspots“ zu erleben. Wie es wäre, sich wie ein Entdecker unberührter Landschaften zu fühlen. Auf Wildcampingplätzen zu schlafen oder in schlichten, gemütlichen Hütten; mit Lagerfeuer und gegrillter Forelle. Manchmal ist es auch so wie in der Warteschleife zu hängen, bei schlechtem Wetter, in der Hoffnung, dass der Nebel sich verzieht. Oder der Bär, der Gefallen daran findet, ein wenig um die Hütte zu stromern und sich auch nicht durch den Bewurf mit Tannenzapfen vertreiben lässt.
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